Wie weit geht die Pflicht zur Eigensicherung in Straßenbahnen und Bussen?
Das Oberlandesgericht Hamm hatte sich mit einem Fall zu befassen, bei dem eine 83-jährige Frau in einer Straßenbahn unmittelbar nach deren Abfahrt stürzte. Die Frau verlangte vom Betreiber der Straßenbahn Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die zu klärende Rechtsfrage lautete, wie weit die Pflicht zur Eigensicherung in einer Straßenbahn bzw. in öffentlichen Verkehrsmitteln allgemein geht. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts geht diese Pflicht sehr weit:
„Dem Fahrgast obliegt es, sich unmittelbar nach dem Zusteigen in die Straßenbahn einen sicheren Stand oder einen Sitzplatz sowie sicheren Halt zu verschaffen (Leitsatz).“
Das Gericht wies die Klage, diesem Leitsatz folgend, ab.
Den Straßenbahnfahrer treffe kein Verschulden. Er durfte anfahren, ohne besondere Rücksicht auf ältere Menschen allgemein oder etwa auf den behinderten Ehemann der Klägerin, der mit Unterarmgehstützen unterwegs war, nehmen zu müssen. Nach ständiger Rechtsprechung müsse sich die Klägerin unmittelbar nach dem Zusteigen sicheren Halt durch einen sicheren Stand oder einen Sitzplatz verschaffen. Wenn – wie hier – keine freien Sitzplätze in unmittelbarer Nähe zum Einstieg vorhanden seien, müsse sich der Fahrgast während der Anfahrt jedenfalls an vorhandenen Haltestangen festhalten. Tue er dies nicht und stürze der Fahrgast in der Folge, treffe ihn das alleinige Verschulden am Unfall, sodass der Betreiber der Bahn keinen Schadensersatz zahlen müsse.
(Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 17.02.2017, Aktenzeichen I-11 U 21/16)
Normen: BGB §§ 280 Abs. I, 611, 823, 831, 254; HPflG §§ 1 Abs. II, 4 und 6